ALLGEMEINES

Europabildung auf Ebene der Europäischen Union

Europabildung ist eine komplexe und fächerübergreifende Querschnittsaufgabe und wird als Ziel schulischer Bildung auf Ebene der Europäischen Union (EU) formuliert. In Dokumenten der EU wird Europabildung in ihrer Relevanz, Vielschichtigkeit, Interdisziplinarität sowie Aktualität immer wieder hervorgehoben.  

Dieser Beitrag erlaubt einen groben Überblick über die Bereiche und Ziele von Europabildung auf Ebene der EU.

 

Europabildung umfasst diverse Bereiche in der Kinder-, Jugend- und Erwachsenenbildung und spielt eine zentrale Rolle in der Zusammenarbeit der EU-Mitgliedsstaaten. Aber wodurch zeichnet sich Europabildung überhaupt aus?

 

Grundlegend werden Aufgabenbereiche und Ziele der Europabildung im Vertrag über die Arbeitsweise der EU in der Fassung von 2012 definiert.1 Zu den wichtigsten Zielen der Europabildung gehört es demnach, die sprachliche und kulturelle Vielfalt, Mobilitätserfahrungen von Lernenden und Lehrenden sowie die Zusammenarbeit unter den Mitgliedsstaaten zu fördern. Die zentrale Bedeutung der kulturellen Vielfalt wird auch in der Mitteilung der Europäischen Kommission zur Stärkung der europäischen Identität durch Bildung und Kultur von 2017 betont.2 Hier wird die kulturelle Vielfalt Europas als „gemeinsame[r] Kern“ dargestellt, „der die Besonderheit der europäischen Lebensart begründet.“3 Ein Verständnis und die Bewahrung eines gemeinsamen kulturellen Erbes sowie der Vielfalt in Europa werden als wichtige Voraussetzungen für den Erhalt der gemeinsamen Kulturgemeinschaft, ihrer gemeinsamen Werte und gemeinsamen Identität angesehen. 

Es stellt sich jedoch die Frage, was unter kulturellem Erbe eigentlich zu verstehen ist, durch welche Attribute sich eine europäische Lebensart auszeichnet und was eine gemeinsame bzw. europäische Kulturgemeinschaft überhaupt ausmacht. Ferner gilt es zu fragen, ob es eine europäische Identität überhaupt gibt und was ihre Besonderheiten wären. Handelt es sich bei diesen Begriffen vielmehr um eine von der EU unterstützte Narration oder sind sie tatsächlich Bestandteil und Charakteristikum eines vereinten Europas? Auch solche Fragen gilt es zu stellen, wenn Europabildung als Ziel schulischer Bildung auf EU-Ebene thematisiert und beforscht wird. 

 

Als weitere Ziele der Europabildung werden im Vertrag über die Arbeitsweise der EU eine Förderung des Sprachenlernens sowie der Zusammenarbeit von verschiedenen Bildungseinrichtungen definiert. Die Förderung von Begegnungen und die verstärkte Partizipation der Jugendlichen am demokratischen Leben in Europa stellen ebenfalls wesentliche Ziele in der Europabildung dar. Wie diese Unterstützung konkret umgesetzt wird, liegt im Ermessen der Mitgliedsstaaten. 

Hieraus ergibt sich auch die Frage nach der konkreten Umsetzung von Europabildung in Schule, Unterricht sowie im außerschulischen Bereich. Welche Rolle spielen die Lehrpersonen hierbei, welche Rolle die Lernenden und die Schul- und Unterrichtskultur? Wie kann Europabildung für junge Menschen wirksam und Europa für junge Menschen erfahr- und erlebbar gemacht werden?  Kann Europabildung über die Grenzen hinweg mit den gleichen Zielen verfolgt werden? Vor diesem Hintergrund müssen Existenz und Beschaffenheit einer möglichen europäischen Lebensart und gemeinsamen Kulturgemeinschaft umso aufmerksamer betrachtet und hinterfragt werden.

 

In der Mitteilung der Kommission vom 30. September 2020 über die Vollendung des europäischen Bildungsraums bis 20254 wird ein zukünftiger europäischer Bildungsraum beschrieben, in dem es Normalität sein soll, dass Menschen ohne Barrieren durch Landesgrenzen internationale Arbeits- und Lernerfahrungen sammeln, mehrere Sprachen sprechen und sich mit Europa identifizieren. In der Mitteilung der Europäischen Kommission zur Stärkung der europäischen Identität durch Bildung und Kultur von 2017 wird betont, dass es „im gemeinsamen Interesse aller Mitgliedstaaten [liegt], das volle Potenzial von Bildung und Kultur als Antriebskräfte für Beschäftigung, soziale Gerechtigkeit und bürgerschaftliches Engagement zu nutzen sowie als Wege, die europäische Identität in ihrer gesamten Vielfalt zu erleben“.5 Bildung und Kultur werden als Teil der Lösung für viele der aktuellen Herausforderungen gesehen, mit denen sich Europa konfrontiert sieht. In der Mitteilung über die Vollendung des europäischen Bildungsraums 2025 von 2020 wird Bildung überdies als „Grundlage für persönliche Entfaltung, Beschäftigungsfähigkeit und eine aktive und verantwortungsbewusste Bürgerschaft“6 bezeichnet sowie als „Grundpfeiler der europäischen Lebensweise“, der „die soziale Marktwirtschaft und Demokratie mit den Grundwerten Freiheit, Vielfalt, Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit“7 stärkt. Auch hier gilt erneut zu hinterfragen, wodurch sich eine europäische Lebensweise auszeichnet.

 

Die Grundwerte, auf die sich die Mitgliedsstaaten berufen, werden im Vertrag über die Europäische Union in der Fassung von 2012 in Artikel 2 definiert.8 Dies sind „die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet“. 

 

Das Verinnerlichen und Leben dieser Werte kann als ein zentrales Ziel von Europabildung definiert werden und gibt wichtige Hinweise darauf, welche Werte und Vorstellungen laut EU fester Bestandteil einer europäischen Lebensweise, Kulturgemeinschaft und Identität sein sollen sowie für junge Menschen in ihrer Entwicklung zu mündigen Bürger:innen handlungsleitend und identitätsstiftend. Die oben gestellte Frage danach, was Europa konstituiert, sowie die Fragen nach der Form des Sichtbarwerdens ihrer ihr zugeschriebenen Werte sowie nach der tatsächlichen Umsetzung von Europabildung und ihren (grenzüberschreitenden) Inhalten bleiben jedoch nach wie vor unbeantwortet. Sie laden deshalb zu einer wissenschaftlichen Erforschung des europabezogenen bildungspolitischen und didaktischen Diskurses sowie der schulischen, unterrichtlichen und außerunterrichtlichen Praxis und der Lehrerbildung in transnationaler Perspektive ein. Vier Teilprojekte widmen sich der empirischen Erforschung und Weiterentwicklung der Europabildung in der Großregion.

LITERATUR

1 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (konsolidierte Fassung von 2012). EUR-Lex, C 326/47. Titel XII, Artikel 165. Online abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/ [zuletzt aufgerufen am 01.09.2021].

2,3,5 Mitteilung der Europäischen Kommission zur Stärkung der europäischen Identität durch Bildung und Kultur (2017). EUR-Lex, COM (2017) 673 final. Online abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/ [zuletzt aufgerufen am 01.09.2021]. (3S. 4, 5S. 3)

4,6,7 Europäische Kommission, Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über die Vollendung des europäischen Bildungsraums bis 2025 (2020), EUR-Lex, COM (2020) 625 final. Online abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/ [zuletzt aufgerufen am 29.08.2021]. (6S. 2, 7S. 2)

8 EU-Vertrag (konsolidierte Fassung von 2012). EUR-Lex, C 326/13. Titel I, Artikel 2. Online abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/ [zuletzt aufgerufen am 01.09.2021].